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Thursday 29 May 2008

Blauem Blut auf der Spur - Adelige und Archivare tagen in Marburg - Ausstellung "Noblesse oblige" zeigt außergewöhnliche Entdeckungen


Das Deutsche Adelsarchiv in Marburg hat bereits zahllose Familienlegenden platzenlassen. Der typische Kunde sei nämlich Familienforscher auf der Suche nach vermeintlich adeligen Vorfahren, erzählt Archivleiter Christoph Franke. Doch auch wenn schon die Großmutter vom blauen Blut in der Familie erzählt hat, stellt sich in 99 Prozent der Fälle heraus, dass es sich um bürgerliche Männer und Frauen handelt. Das meiste ist Einbildung, sagt Franke.

Bereits seit mehr als 60 Jahren sitzt die zentrale Dokumentationsstelle für den deutschsprachigen Adel in Marburg. Hauptaufgabe ist die Herausgabe der «genealogischen Handbücher des Adels», dem «Who is Who» des Standes. Darin werden die heute lebenden Adels-Familien mit ihren Lebensdaten, Familienverflechtungen, Berufen und Adressen aufgelistet. «Wir sind die zentrale Matrikelstelle für Adelige», erläutert Franke. Aufgenommen wird nur, wer von einem adeligen Mann in legitimer Ehe abstammt. Wer das «von» im Namen von der Mutter übernommen hat, gilt dagegen nicht als blaublütig. Auch uneheliche Kinder haben nach diesen Kriterien keine Chance.

In den kommenden Wochen werden sich Adelige, Historiker und Adelsarchivare in Marburg treffen, um der Adelsgeschichte weiter auf die Spur zu kommen. Für den 30. Mai ist eine Tagung über die aktuellen Herausforderungen deutscher Adelsarchive geplant, die vom Hessischen Staatsarchiv, dem Deutschen Adelsarchiv und dem Verband deutscher Archivarinnen und Archivare ausgerichtet wird. Bereits ab Mittwoch (7. Mai) ist im Marburger Staatsarchiv die mit Hilfe des Adelsarchivs konzipierte Ausstellung «Noblesse oblige - Adeliges Leben in Hessen» zu sehen.

Darin geht es um den sogenannten Niederadel, also nicht um die regierenden Fürstenhäuser und Landgrafen, sondern um die alte Ritterschaft. Diese Familien waren - zumindest in Hessen - vergleichsweise arm. Deshalb mussten ihre Mitglieder einst als Offiziere, Steuereintreiber und Verwaltungsbeamte in landesherrliche Dienste treten, zahlten aber im Unterschied zu den Bauern keine Steuern und hatten Polizeibefugnisse.

Die Ausstellung zeigt Familienchroniken, Eheverträge, Briefe, Leichenpredigten, Tagebücher und die öffentliche Vorladung an einen Mörder, aber auch den Stundenplan eines adeligen Schülers, für den der Ganztagsunterricht durch den Hauslehrer Alltag war: Er musste täglich von 7.45 Uhr bis 18.00 Uhr lernen.

Zu sehen sind auch außergewöhnliche Entdeckungen, die das Staatsarchiv in den Nachlässen von Adeligen gemacht hat: Bereits in den 1990er Jahren fand Musikreferent Hermann Langkabel eine verschollene Symphonie von Mozarts Vater und eine unbekannte Sonate von Vivaldi in den Unterlagen der Schencken von Schweinsberg. «Das war ein aufsehenerregender Fund», sagt Langkabel. Gar als «spektakulär» stufen Historiker die Entdeckung von 140 Briefen aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ein, die bei einem Nachfahren des Hauptmanns Georg Ernst von Gilsa lagerten. Sie wurden erst vor wenigen Wochen von der Marburger Universität vorgestellt, wo sie im Tresor liegen.

Archivoberrat Karl Murk vom Marburger Staatsarchiv ist sich sicher, dass noch viel mehr Schätze auf den Dachböden von Schlössern und Gütern der Adeligen in Deutschland schlummern. Für die Wissenschaft seien diese Archive von großer Bedeutung, sagt er. Briefe, Tagebücher und Reiseberichte liefern anschauliche Hintergrundinformationen über politische Entscheidungen und gesellschaftliche Entwicklungen.

In Deutschland gibt es insgesamt mehr als 30 Adelsarchive. Viele von ihnen sind an große Adelshäuser angegliedert. Nicht enthalten sind die Schätze, die in kommunalen und staatlichen Archiven lagern. So füllen die Nachlässe hessischer Adeliger allein im Marburger Staatsarchiv mehr als 800 Regalmeter.

Doch höchstens zehn Prozent der Adels-Nachlässe seien bereits erschlossen, sagt Murk. Dies sei einer der Gründe, warum das Staatsarchiv die Dokumente des Adels zum Thema macht: «Wir wollen die Familien animieren, sich um die Archive zu kümmern.»

ddp/coo/uge

Source:
http://www.ad-hoc-news.de/Artikelsenden/10581289/Marktberichte/16721625
--Von ddp-Korrespondentin Gesa Coordes--

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